Die Geschichte des jungen Magiers Harry Potter beginnt denkbar tragisch, nämlich mit der grausamen Ermordung seiner Eltern durch Lord Voldemort. Wohl in der Hoffnung dem Jungen so eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen, fern ab vom Trubel um seine Person, beschließt Dumbledore ihn in die Obhut seiner Muggel-Verwandten zu geben. Kenner der Reihe wissen natürlich, dass Harry bei den Dursleys alles andere als eine schöne Kindheit erleben wird, doch wie wäre die Frage der Obsorge für den „Jungen der Überlebte“ – natürlich unter der Prämisse, dass die österr Gesetze auch auf Zauberer anzuwenden sind – eigentlich richtig zu lösen gewesen?
Mag.a Cornelia Pascher B.A. ist Universitätsassistentin am Institut für Europäisches und Österreichisches Zivilverfahrensrecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Ihre Arbeitsschwerpunkt liegen va im (internationalen) Zivilverfahrensrecht, dem Außerstreitverfahrensrecht und dem Familienrecht. Sie ist Harry Potter Fan der ersten Stunde und bekennende Marvel- Anhängerin.
In Österreich regelt das ABGB die Obsorge, doch zuallererst – wie unter Juristen nun mal üblich –eine kurze Definition: Der Begriff „Obsorge“ umfasst gem §168 ABGB das gesamte personenrechtliche Fürsorgeverhältnis zwischen den obsorgeberechtigten Personen und den minderjährigen Kindern. Konkret also die Pflege und Erziehung, die Vermögensverwaltung sowie die gesetzliche Vertretung des Kindes. Die Obsorge kommt gem § 177 ABGB grundsätzlich den Eltern eines Kindes zu. Ist aber ein Elternteil verstorben, ist sein Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt, oder kann die Verbindung zu ihm nicht oder nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten hergestellt werden, so erhält der „übrig gebliebene“ Elternteil gem § 178 ABGB die alleinige Obsorge. Sind wie im Falle von Harry beide Elternteile verstorben, so sind in weiter Folge entweder die Großeltern bzw geeignete Pflegeeltern mit der Obsorge zu betrauen.
Mangels Großeltern müssen wir uns also die für Harry geeigneten Pflegeeltern näher ansehen. Die Dursleys fallen ohne jeden Zweifel in die Kategorie der Pflegeeltern, denn sie sind „Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll.“ Darunter fallen in aller Regel eben Verwandte eines Kindes. Die Pflegeelterneigenschaft ist bereits dann gegeben, wenn diese Personen die Pflege der Kindes tatsächlich ausüben. Im Falle der Dursleys also dadurch, dass sie Harry aufgenommen haben und verpflegen. Soll nun die Obsorge auf die Pflegeeltern übertragen werden, so müssen diese zum einen die Absicht nachweisen das Pflegeverhältnis auf Dauer aufrechterhalten zu wollen und zum anderen muss eben jenes Pflegeverhältnis auch dem Wohl des Kindesentsprechen. Wir müssen uns also in einem zweiten Schritt fragen: Sind die Dursleys denn überhaupt geeignet und entspricht es dem Wohl von Harry, wenn ihnen die Obsorge übertragen wird oder liegt dadurch nicht vielleicht eine Kindeswohlgefährdung vor?
Die Kriterien für eine Gefährdung des Kindeswohls haben sich im Laufe der Zeit durch die Rsp entwickelt, sie liegt vor, wenn die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt worden sind bzw wenn durch das Gesamtverhalten der Obsorgeberechtigten die schutzwürdigen Interessen des Kindes gefährdet werden. Absolut Verboten ist dabei natürlich jegliche Ausübung von physischer und psychischer Gewalt gegen das Kind.
Harry Potter Fans kennen den Umgang der Dursleys mit ihrem Ziehkind nur zu gut, so lassen sie Harry etwa in einer Besenkammer unter der Stiege nächtigen und auch verbale Angriffe durch den Onkelgehören zum Alltag des jungen Zauberers – und das ist bekanntlich nur die Spitze des Eisbergs. Wir können demnach jedenfalls davon ausgehen, dass hier eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Doch auch das ABGB kennt den einen oder anderen Zaubertrick, denn § 211 ABGB ermöglicht es dem KJHT bei Gefahr im Verzug die erforderliche Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig selbst zutreffen – sprich das Kind „finite incantartem“ aus der bedrohlichen Situation heraus holen, ohne auf eine Entscheidung durch das Gericht warten zu müssen. Im Anschluss hat ein Gericht über das weitere Schicksal des Kindes abzusprechen. Im konkreten Fall hätte ein österr Pflegschaftsgericht den Dursleys wohl mit Sicherheit die Obsorge entzogen und einer tatsächlich geeigneten Person –eventuell ja seinem Patenonkel Sirius oder den Weasleys, die ja gute Freunde der Potters waren –übertragen.
Cornelia Pascher